Malte Fischer, Gastautor / 12.01.2016 / 12:00 / 7 / Seite ausdrucken

Die jetzt wirklich wichtigen Dinge

Von Malte Fischer

Das war knapp. Am Wochenende haben engagierte Ordnungshüter gerade noch das Schlimmste verhindert. Der schlagkräftige Einsatz der Kölner Polizei gegen den braunen Pegida-Mob verhinderte wahrscheinlich hunderte Gewalt- und Sexualdelikte. Das Vertrauen in den Rechtstaat kehrt zurück. Viele Menschen sind dankbar, dass die Machtergreifung der Nazis mal wieder in letzter Sekunde abgewendet wurde.

In Polen ist es ja schon wieder so weit. Die humanitären Interventionen demokratisch legitimierter Schwergewichte der EU, von Martin Schulz über Günther Oettinger bis hin zu Marietta Slomka, können ein neues Reich der Finsternis kaum mehr abwenden. Dunkeldeutschland würde sowieso lieber heute als morgen in Putins kalten Schoss kriechen. Vielleicht wäre das die ehrlichere Lösung für alle. Spiegel- und FAZ-Reporter haben übereinstimmend recherchiert, dass die meisten Ossis schlecht gekleidet, emotional verroht und in die mitfühlende Demokratie kaum noch integrierbar sind.

Fairerweise muss man sagen: Viele Deutsche aus Ost und West sind einfach dumm. Passieren irgendwo auf der Welt oder in Bielefeld Dinge, die der Argumentation von Rechtspopulisten in die Karten spielen, glauben sie diesen Argumenten irgendwann. Wie soll man darauf als vernunftbegabter Mensch reagieren? Klare Kante hilft. Erfüllt sich, wovor Rechtspopulisten gewarnt haben, muss man eben noch entschiedener vor den Rechtspopulisten warnen.

Sozialdemokratische Wissenschaftler vom Institut Forsa haben herausgefunden, dass zwei Drittel der AfD-Anhänger „keine normalen Menschen“, sondern „brauner Bodensatz“ sind. Diskutieren Sie mit der Scheiße an ihrer Schuhsohle?

Die ganze Aufregung um ein paar grapschende „Ausländer“ (als könne irgendwer einen Nordafrikaner oder Araber erkennen) nimmt längst hysterische Züge an. Die Kölner Polizei hat der Bevölkerung und potentiellen Nachahmern ganz klar signalisiert, dass sie jederzeit in der Lage ist, auf massenhaften Missbrauch in ihrer Sichtweite, mit Platzverweisen, Ausweiskontrollen und deeskalierenden Pressemeldungen zu reagieren. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: So was passiert nun mal in Gesellschaften, die Focus lesen, ihren Kindern Barbies kaufen und GNTM schauen.

Am schlimmsten sind die Heuchler, die den #aufschrei nur mittelwichtig fanden, und jetzt auf einmal gegen Gruppenvergewaltigungen polemisieren. Wir sollten erst mal Karneval, Oktoberfest und CSU-Parteitage verbieten, um den Sexismus im eigenen Land in den Griff zu kriegen. Denn eins darf man bei der Debatte nie vergessen: Niemand fickt so schamlos die ganze Welt wie der weiße Mann. Jetzt, wo er alt wird und keinen mehr hochkriegt, zerreißt er sich das Maul über gut im Saft stehende Schutzsuchende. Im Grunde ärgert er sich nur, dass „Fremde“ „seine“ Frauen betatschen, hat er dies doch über Jahrhunderte als sein exklusives Recht betrachtet. Ekelhaft. Doch die Ära des white privilege neigt sich zum Glück dem Ende zu. Millionen Frauen atmen hörbar auf, auch wenn der ein oder andere ehemalige Herrenmensch natürlich daran zu knabbern hat.

Wenn wir durch Zuwanderung unsere demographischen Probleme lösen wollen, müssen wir ja auch irgendwann damit anfangen. Die ungestümen Annäherungsversuche auf der Domplatte sind nicht zuletzt Folge rassistischer Verklemmungen und irrationaler Ängste auf deutscher Seite, welche dazu führen, dass Menschen, die vor Fassbomben und Hunger geflüchtet sind, hier oft nicht mal eine nette Frau kennenlernen. Auch die deutsche Willkommenskultur kennt leider noch viele Grenzen.

Außer Frage steht, dass das Fehlverhalten der jungen Wahl-Kölner allen wichtigen islamischen Gelehrten zufolge absolut unislamisch war. Es ist unerträglich wenn jetzt ausgerechnet muslimische Verbände gewaltsam virtuell attackiert werden, deren Geldgeber und geistige Autoritäten in der Türkei und Saudi-Arabien ein dezidiert keusches Beziehungsideal propagieren und außerehelichen Geschlechtsverkehr von Frauen und kleinen Mädchen konsequent kriminalisieren. Daher sind auch die Entschuldigungen einzelner Flüchtlinge für ihre Landsleute zwar lieb gemeint, verfehlen aber den Kern des Problems, der wie eigentlich immer in der rassistischen deutschen Mehrheitsgesellschaft verortet ist.

Die gewaltsame Okkupation öffentlicher Räume, die Unterwerfung ungläubiger Schlampen, die Verachtung für unseren Scheißstaat: All das mag dem deutschen Durchschnittsmichel in seiner privilegierten Wohlstandsblase durchaus heftig vorkommen. Aber so lange wir als Gesellschaft diesen jungen Männern nicht mal die Perspektive auf das Gehalt eines mittleren Angestellten garantieren können, sollten wir die Verantwortung für ihre Handlungen nicht leichtfertig bei ihnen selbst suchen.

Das Spannungsverhältnis von Islam und Internetpornos mag eine gewisse innere Unruhe begünstigen. Aber wie fragwürdig ist eigentlich unser Idealbild von Sexualität, in dem Greise, Behinderte oder Superdicke höchstens eine Nebenrolle spielen und unschuldige Kinder in die Schablone heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit gepresst werden? Darüber würde sich eine Debatte echt mal lohnen. Gerade auch für die Opfer. Das wäre eine bessere Prävention als auf Herkunft, Religion oder Aufenthaltstitel von mutmaßlichen Übeltätern herum zu reiten. Wir sind alle nur Produkte der Gesellschaft. Also müssen wir die Gesellschaft so lange reparieren bis sie keine Täter mehr produziert. Davon lenken einseitige Strafanzeigen nur ab.

Auch wenn wenig dafür spricht, dass sich Vorfälle wie zu Silvester in Köln, Hamburg, Bielefeld oder Weil am Rhein in Berlin, Bonn, Göttingen oder Marbach am Necker wiederholen könnten, sollte die harte Reaktion des Rechtstaats auf die dann garantiert wieder aufflammende rechte Hetze schon präventiv greifen. Sonst geraten die erstbesten Täter sofort wieder unter Generalverdacht. Die Betreuung von AfD und Pegida durch den Verfassungsschutz und das Gesprächsboykott der wahren Demokraten gegenüber den Schweinen von der AfD sind vor den anstehenden Landtagswahlen die ersten wichtigen Schritte, um weiterhin einen vertrauensvollen Monolog von Kanzlerin und Regierung mit ihrer Bevölkerung zu gewährleisten.

Natürlich brauchen wir auch mehr Polizei auf der Straße, damit die Rechten nicht weiter aufmucken. Die Antifa kann nicht überall gleichzeitig sein. Vor allem anderen aber brauchen wir mehr Liebe. Für das Neue und Fremde genau wie für das Unbekannte. So geil waren die letzten siebzig Jahre Bundesrepublik ja nun auch wieder nicht. Wer die ohnehin kommenden Veränderungen nicht umarmt, wird früher oder später von ihnen angetanzt. Nur Liebe überwindet Hass und Gewalt. Nur Liebe ist stärker als die Parolen der Willkommensverächter. Sie sollen das Maul halten und sterben gehen, damit die Liebe ihre Chance bekommt. Bald ist Frühling.

Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.

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Leserpost

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Bärbel Schmidt / 13.01.2016

Danke! Sie haben mir eine große Freude gemacht.  Ich würde sagen die Süddeutsche und die ZEIT könnten auch Interesse an dem Artikel haben.

Andreas Rochow / 13.01.2016

Man könnte diesen wunderbaren Text als gallige Realsatire lesen. Leider habe ich eine Reihe von Personen kennengelernt, die eigenem Bekunden zufolge genau dieser Denkungsart anhängen und jederzeit bereit sind,  ihren Selbsthass auf der Straße zu zelebrieren. Die evangelische Kirche geht da in einer hysterisch-gutmenschlichen Weise voran und schart bei ihrem Kampf gegen rechts Linksradikale, Autonome Antifanten und bedford-verstromte Fundamentalchristen um sich, um zu zeigen, dass nichts gegen die “Anständigen” geht. Dieses Etikett wird eben noch von den Medien und der ansonsten gar nicht so rechtstreuen Politik kritiklos akzeptiert. Ein Symptom für Bürgerfrieden ist es auf keinen Fall.

Klaus Metzger / 12.01.2016

Wo war dieser Artikel zuerst erschienen, im Stern oder im Spiegel?

Dr. Ralph Buitoni / 12.01.2016

Danke, das war wieder einmal genial! Wenn ich mir vorstelle, dass ich 10 Jahre meines Lebens inmitten des Milieus zugebracht habe, das ganz genau so argumentiert - und nicht erst “seit Köln” - sondern schon lange genau diese Ereignisse gewissermaßen intellektuell vorbereitend über die letzten Jahrzehnte - dann wundert man sich, wie man das psychisch durchgehalten hat.

Martin Lederer / 12.01.2016

Ihren Artikel empfinde ich als bitterböse. Aber leider auch war. In dem Artikel empfinde ich genau den Hass und die Hetze (tut mir leid für diese beiden unschönen Wörter), den verschiedene eher einflußreichen Leute (ja wer eigentlich?) aus den Medien, aus der Politik, aus den Gewerkschaften und auch aus den Kirchen gegen andere eher weniger einflußreiche Leute (auch hier: ja wer eigentlich?) seit einem halben Jahr (oder einem Jahr, vielleicht auch schon länger) ausüben. Meinem Gefühl nach sind es kaum Leute aus Wirtschaftskreisen, die so etwas sagen. Und wenn die in diese Richtung gehen, habe ich eher das Gefühl, sie machen das auf Druck von außen. Ich glaube, dass diese Leute ein bestimmtes Ideal haben. Und wenn andere Leute dieses Ideal nicht wollen und sich auch dagegen wenden, werden sie mit sprachlichem Gewehrsalben beschossen.

Thomas Klingelhöfer / 12.01.2016

Danke für’s Geraderücken der Perspektive, Herr Fischer! Wo ist der Like-Button auf achgut?

Andreas Urbanek / 12.01.2016

Der Autor spricht mir aus der Seele. Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Lage doch viel rosiger dar: Jener Völkerwanderer zwischen den Welten, der mit einem Hackebeilchen in einer Pariser Polizeiwache um Asyl bat und dort unbegreiflicherweise erschossen wurde, soll in Deutschland mindestens sieben Identitäten gehabt haben. Mindestens heißt: wahrscheinlich viel mehr. Gehen wir, der Einfachheit halber, mal nur von rund 10 Identitäten aus. Wenn jeder Migrant nur über 10 Alter Ego verfügt, hätten wir nach Adam Riese nicht 1 Million Zuwanderer, sondern real nur 100.000. Das liegt weit unter der von Seehofer geforderten Obergrenze von 200.000. Wir müssen also schauen, daß wir schleunigst die Fallzahlen verdoppeln um der notleidenden Industrie in ausreichendem Maße bezahlbare Fachkräfte zuführen zu können.

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