Alle haben in der vorigen Woche darüber gelacht, dass der Zoll energisch gegen die Einfuhr verbotener Plastik-Strohhalme vorging. Dabei sind die Plastik-Strohhalme wirklich eine Gefahr für uns. Ein Teufelskreis zweifelnder Fragen droht, das lässt sich ganz klar herleiten.
In den letzten Tagen musste ich auf Facebook, wo ich sehr aktiv bin, viele sarkastische, bissige, regelrecht bösartige Kommentare über die auf mehreren Portalen verbreitete Erfolgsmeldung lesen, dass es dem deutschen Zoll in einem aufsehenerregenden Coup gelang, 5.000 Plastik-Strohhalme sicherzustellen. Diese Häme ist völlig unangebracht. Als erfahrener Human-Ornithologe möchte ich Ihnen das „Warum“ darlegen.
Sie alle haben sicher schon von der „Broken-Window-Theorie“ gehört. Sehr vereinfacht dargestellt, geht diese in den 80er Jahren unter den damaligen Gesellschaftsklempnern vorherrschende Theorie davon aus, dass selbst ein scheinbar unbedeutendes, unscheinbares Ereignis wie ein mutwillig zerstörtes Fenster, das nicht sofort repariert wird, zum langsamen Niedergang ganzer Stadtviertel führen kann. Die Passivität und Gleichgültigkeit der betroffenen Menschen, das Gefühl der Anonymität und das offensichtliche Nicht-vorhanden-sein negativer Konsequenzen ermutigt die größten Rowdys des Viertels, noch mehr Scheiben einzuschmeißen. Zuerst vereinzelt, dann methodisch. Ein sich selbst verstärkender Teufelskreis kommt in Gang.
Die ängstlichsten Bewohner des Viertels fangen an, in bessere Wohnviertel umzuziehen. Die Randalierer fühlen sich dadurch ermutigt, der Vandalismus verstärkt sich, mehr normale Leute ziehen weg, jetzt sind es schon Autos, die in Flammen aufgehen, oder Läden, die geplündert werden, noch mehr Familien, die sich das finanziell leisten können, bringen sich in Sicherheit … usw. usf. … und im letzten Akt kommen aknezerfressene Crystal-Meth-Zombies, Al-Qaida-Schläfer, schmierige Nazis mit Seitenscheitel, Springerstiefeln und breitem sächsischen Akzent aus ihren Löcher gekrochen. Schüsse, die gellenden Schreie geschändeter Frauen, Messerattacken, das volle Programm halt – und das alles hätte laut der "Broken-Window-Theorie" vermieden werden können, wenn beim Klirren der ersten Scheibe ein gesetzestreuer, pflichtbewusster Bürger sofort zum Telefon gegriffen und die Polizei sowie einen Glaserkumpel angerufen hätte … ich meinte natürlich eine ihre Einnahmen ordnungsgemäß versteuernde Glaserfirma.
Gefährliche Erinnerungen werden geweckt
Genau dieselben Logik- und Argumentationsmuster stecken hinter der „Nichtbeschlagnahmter-Plastikstrohhalm-Theorie". Klar geht die Welt nicht unter, wenn man als Zöllner, der gerade ein kleines Paket mit Plastikstrohhalmen entdeckt, einfach mit den Schultern zuckt und so tut, als habe man es nicht bemerkt. Oberflächlich betrachtet, mag es ja auch tatsächlich scheinbar wichtigere Dinge geben, die es zu entdecken gilt. Rauschgift, Waffen, Menschenhandel etc.pp.
Doch genau dieses Denken ist falsch, denn hier haben wir sozusagen die erste eingeworfene Glasscheibe aus der "Broken-Window-Theorie". Die Plastikstrohhalme kommen in Umlauf und schwupp, gibt es tausende Leute, die sich daran erinnern, dass es einen Grund gab, warum vor etwa 80 Jahren die Plastikstrohhalme die Papierstrohhalme ersetzten. Weil man aus ihnen, im Gegensatz zu Papierstrohhalmen, tatsächlich trinken kann und sie in der Lage sind, die Einstichstellen der Getränkepacks zu durchbohren, während sich heutzutage wütende Eltern beim Versuch bekleckern, diesen Job für ihre Kinder mit Schlüsseln, Kulispitzen oder ähnlichen spitzen Behelfswerkzeugen zu erledigen, da das Durchbohren der vorgesehenen Einstichstelle mit den (in Plastik eingeschweißten und auf die Kunststoffgetränkepacks geklebten) Papierstrohhalmen natürlich nicht mehr möglich ist.
Deswegen sitzen jetzt diese Leute mit ihren illegalen Plastikstrohhalmen, aus denen sich entspannt und widerstandsfrei trinken lässt und denken sich: „Natürlich löst ein ,Weiter-so' mit Plastikstrohhalmen nicht das unbestreitbare Problem mit den in den Weltmeeren treibenden Plastikbergen. Aber da diese Plastikberge in der Dritten Welt in die Weltmeere gelangen, dort weiterhin Plastikstrohhalme benutzt werden und es in der EU erstklassige Recyclingsysteme und Müllverbrennungsanlagen gibt, wird dieses Problem auch nicht mit bekloppter EU-Symbolpolitik gelöst.
Die Fastfood-Restaurants produzieren abscheulich riesige Berge von Müll aus Einwegverpackungen. Wenn man sie zwingen würde, uns ihr Essen auf Tellern und ihre Getränke aus Gläsern zu servieren, und wenn man der Dritten Welt im Kampf gegen den dortigen Plastikhimalaya helfen würde, ergäbe das Ganze einen Sinn. Aber alles so zu lassen, wie es ist, nur um ausschließlich in der EU symbolisch den Plastikstrohhalm mit einem lächerlichen, nichtfunktionierenden Papierstrohhalm zu ersetzen, ist doch idiotisch!"
Damit kommt der Teufelskreis in Gang, schließlich leben wir im Social-Media-Zeitalter. Die Leute fangen an, ihre simple „Lieschen-Müller"-Logik in die Welt hinauszuposaunen, ermöglicht durch das Internet.
Plötzlich geht’s an die Energiewende
Als nächstes melden sich Leute zu Wort, die ihre aufgehobene Stromrechnung von vor zwanzig Jahren neben ihre heutige Stromrechnung legen, das abfotografierte Bild mit der unglaublichen Diskrepanz zusammen mit einem Vergleich zu den Strompreisen im Rest der Welt auf Facebook oder X posten/tweeten. Schwupps, regen sich hunderttausende Deutsche, die kaum noch ihre weltweit einmalig hohen Strompreise bezahlen können, darüber auf, was die deutsche Energiewende, die nicht Milliarden, sondern Billionen kostet, bitteschön für einen Sinn ergeben soll.
„Nach der Abschaltung der eigenen AKWs kaufen wir Atomstrom beim Nachbarn, wir stoßen mehr CO2 aus als vorher, der Wahn mit den Windkraftanlagen zerstört die Umwelt, die es ja angeblich zu schützen gilt“, ruft dieses Heer der Simpletons, und: „Wir haben in Deutschland kaum heimische Rohstoffe außer der Kohle … und vorhandene moderne Kohlekraftwerke mit ausgetüftelter Filtertechnologie. Was für ein Wahnsinn, dass abzuschalten, um jetzt in Windkraft-Mangel-Situationen weit dreckigeren Kohlestrom aus Tschechien oder Polen kaufen zu müssen. Was für ein Irrsinn, in Windkraft-Überschuss-Situationen die Nachbarländer dafür bezahlen zu müssen, den vom deutschen Steuerzahler hochsubventionierten Windstrom in deren Stromnetzen verklappen zu dürfen und was für ein Hohn, dass dem heimischen Steuersubstrat via den Medien euphemistisch als ,Steigerung der deutschen Ökostrom-Exporte' zu verkaufen. Zumal in der Debatte völlig außer acht gelassen wird, dass Windkraftanlagen auf die Turbinen der Großkraftwerke angewiesen sind, um ihren Strom einspeisen zu können, und der bei der Filterung der Abgase entstehende Kalk ein wichtiger und dringend benötigter Grundstoff der Baubranche ist. Hätte es nicht viel mehr Sinn ergeben, wenn wir unsere vorhandene, bewährte, günstige Energie-Infrastruktur behalten und stattdessen den Chinesen und Indern geholfen hätten, ihre qualmenden Schlote mit deutscher Filtertechnik um ein Vielfaches schadstoffärmer zu machen? Sicher hat sich der zuständige Minister Altmaier damals öffentlich damit gebrüstet, dass kein anderes Land der Welt gleichzeitig aus der Atomkraft UND der Kohleverstromung aussteigt … aber vielleicht gibt es dafür ja einfach einen Grund …??“
Na sicher ist dieser Populismus grundfalsch, weil er den Glauben an den Klima-Endsieg gefährdet und die Tatsache anzweifelt, dass die Deutschen die auserwählte Nation sind (der „Bacon of Hope“, wie unsere Außenministerin vermutlich sagen würde), die voranschreitet, die zaghafteren Nationen durch sein mutiges Handeln mitzieht und nach anfänglichen Härten durch die Transformation der heimischen Wirtschaft bald schon eine fette Rendite kassiert durch ein neues, grünes Wirtschaftswunder, das man als weltweit geachtete Umweltpionier-Nation anführt. Weil eben schon bald blitzsaubere E-Lastenräder aus deutschen Montagehallen das Straßenbild Indiens und Chinas bestimmen. Aber das ist eben die Sorte Hass, Hetze und Desinformation, die einen aus dem toxischen, weil staatlich unkontrollierten Internet entgegenschallt.
Als nächstes werden die hunderttausende von Monteuren und Pendlern ihren unausgegorenen Senf dazugeben. „Ja, ein Opel Corsa war vor einiger Zeit in der einfachsten Version noch für zehn- bis zwölftausend Euro zu haben, während man jetzt für einen elektrischen Corsa 45.000 Euro abdrücken soll. Und dann komme ich damit noch nicht einmal in sechs Stunden von Berlin nach München, sondern kann mit Laden acht bis zehn Stunden einplanen. Und nach vier Jahren Montage hat das Auto 200.000 km auf den Buckel und ist fast wertlos! 45.000 Euro für einen e-Corsa! Wer soll das bezahlen?! Zu DM-Zeiten war das der Einstiegspreis in die S-Klasse von Mercedes!“
Schritt für Schritt werden Leute, die weder Tagesschau sehen noch andere offizielle demokratische Qualitätsmedien konsumieren, an den heiligsten Dogmen der Klimakirche rütteln und nach „pragmatischen“ Lösungen schreien, und irgendwann sind wir dann in dem Endszenario aus der 'Broken-Window-Theorie'. Hunderttausende Nazi-Zombies schlurfen die Straßen entlang und brüllen nach dem Rücktritt der Ampelregierung… und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, jeden einzelnen auf der Straße verhafteten Plastikstrohhalm der Presse vorzuführen und aus dem Verkehr zu ziehen, bevor unter den braven Bürgern ein Teufelskreis aus zweifelnden Fragen entsteht.
Wolfram Ackner, Jahrgang 1970, ist von Beruf Schweißer im Anlagen- und Behälterbau. Er lebt in Leipzig und schreibt neben seinem bürgerlichen Beruf Kurzgeschichten und andere Texte.