Laut eines Achgut.com vorliegenden Dokuments saß SPD-MdB Michelle Müntefering, Vizepräsidentin der DIG, ab Januar 2017 im Beirat der Israel-Boykott-Gruppe „Deutsch-Palästinensische Gesellschaft“. Münteferings Bundestagsbüro bestätigte die Beiratstätigkeit auf Anfrage für diese aktualisierte Fassung des Artikels.
„Klar ist: Die Sicherheit Israels ist Staatsräson und ist mit der Sicherheit Deutschlands eng verbunden. Dies müssen wir politisch deutlich machen“, so positionierte sich Michelle Müntefering, SPD-Bundestagsabgeordnete und ebenfalls Vizepräsidentin der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ (kurz DIG), gegenüber der Jüdische Allgemeinen bei einer Israel-Solidaritätskundgebung im Oktober 2023 direkt nach dem Angriff der Hamas auf Israel.
Müntefering, seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags und von März 2018 bis Dezember 2021 Staatsministerin im Kabinett Merkel IV, wurde im Sommer 2022 zur Vizepräsidentin der DIG gewählt. „Wir[ brauchen] die Deutsch-Israelische Gesellschaft, hier und jetzt! Ich bin zutiefst dankbar, dass nach der Shoah, der millionenfachen Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden, die Beziehungen unserer Länder kontinuierlich weiterentwickelt und gestärkt wurden“, sagte Müntefering zu ihrer Wahl.
In einem Grußwort bei einem Festival der Deutsch-Israelischen Gesellschaft anlässlich des 70. Unabhängigkeitstages des Staates Israel im Mai 2018 äußerte Staatsministerin Müntefering, dass sie sich „dem Frieden für Israel verpflichtet“ sähe. „Mir persönlich ist wichtig, dass Deutschland für die Existenz und die Sicherheit Israels einsteht.“ Ferner bleibe es „nach meiner tiefen Überzeugung unsere dauerhafte Verantwortung, mit aller Kraft und allen Mitteln gegen Antisemitismus, Rassismus, gegen Ausgrenzung vorzugehen“, wie Müntefering weiter betonte.
Als Staatsministerin mittelbar in den BDS-Fall Mbembe involviert
Über diesen israelsolidarischen und antisemitismuskritischen Worten liegt indes nach Recherchen von Achgut.com ein dunkler Schatten. So ist Müntefering laut eines Rundbriefs der Israel-Boykott-Gruppe„Deutsch-Palästinensische Gesellschaft“ vom Januar 2017 seinerzeit in den neueingesetzten Beirat der DPG aufgenommen worden. „Unsere Berufung haben dankenswerterweise Persönlichkeiten als Sachverständige und Berater aus den Bereichen Politik, Religionsgemeinschaften, Medien, Kultur und Wissenschaft angenommen“, schreibt die DPG. Darunter findet sich eine „Frau MdB Michelle Müntefering“. Die erste Sitzung des Beirates soll am 25. Januar 2017 in Berlin im Bundestag (!) stattgefunden haben.
Bereits in ihrer Zeit als Staatsministerin war Müntefering in einen Skandal um die internationale Israel-Boykott-Bewegung BDS involviert, wenn auch damals nur mittelbar. So hielt sie im Oktober 2018 eine Laudatio für den damaligen Gerda-Henkel-Preisträger, Prof. Dr. Achille Mbembe, der im Jahr 2015 ein Buch veröffentlicht hatte, dessen Verkaufserlöse an eine Organisation der BDS-Bewegung fließen, so die WELT.
Letzteres wurde ab dem Frühjahr 2020, also noch zur Amtszeit Münteferings, diskutiert, da Mbembe die Eröffnungsrede zur Ruhrtriennale halten sollte. Müntefering wirkte zu jener Zeit zudem als „Mitglied des Stiftungsrats der Kulturstiftung des Bundes, die zu den Geldgebern der Ruhrtriennale gehören“, wie die WELT notierte. Ob Müntefering schon im Oktober 2018 um Mbembes Beziehungen zur BDS-Kampagne wusste, den sie in ihrer Laudatio noch einen „Lichtmacher aus Afrika“ nannte, mit dem sie eine „gemeinsame ‚Mission‘“ teile, ist dabei unklar.
DPG bekannte sich bereits 2015 zum Israel-Boykott
Der Fall der „Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft“ liegt jedoch anders. Denn das Verhältnis der DPG zum modernen Judenboykott ist kein Geheimnis. Zur Beziehung der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft zur BDS-Kampagne heißt es im oben referenzierten Rundbrief nämlich eindeutig, dass „die DPG die BDS-Bewegung unterstützt“. Bereits im Juni 2015 bekannte sich die DPG offiziell zum Israel-Boykott, schloss sie sich doch dem „Deutschlandweiten BDS-Aufruf“ des BDS-Koordinierungsgremiums in Deutschland an. 2019 stellte sich die DPG daher dann gegen die Anti-BDS-Entscheidung des Bundestags, da „die unterdrückte palästinensische Zivilbevölkerung mit ihrer gewaltfreien BDS-Aktion vorrangig die Beendigung der Besatzung und nicht die Zerstörung des Staates Israel anstreb[en]“ würde.
Achgut.com hat Müntefering mit der Recherche konfrontiert und gefragt, (1) ob sie wusste, dass es sich bei der DPG um eine Israel-Boykott-Gruppe handelt, die die BDS-Kampagne unterstützt, (2) wie lange ihre Tätigkeit im Beirat der DPG dauerte und (3) wie sie heute in ihrer Funktion als Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft dazu steht. Zur Dauer ihrer Tätigkeit schreibt Münteferings Abgeordnetenbüro (siehe Antwort am Textende): „Frau Müntefering wurde für die SPD-Fraktion 2017 in das Gremium entsandt und schied nach der Bundestagswahl 2017 und der anschließenden Berufung zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anfang 2018 wieder aus.“
In Bezug auf die BDS-Kampagne heißt es im Antwortschreiben weiter: „Zum Thema BDS ist ihre [Michelle Münteferings, Anm. des Autors] Haltung völlig klar - das hat sie auch mit der Abstimmung im Bundestag deutlich gemacht.“ Für den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ stimmte die SPD-Bundestagsfraktion im Mai 2019 einmütig, demnach also auch Müntefering. Ferner betonte Müntefering als Staatsministerin im Dezember 2020 gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass das Auswärtige Amt „eine Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung seit jeher ausgeschlossen“ habe.
Im Jahr 2017 Mitglied bei DIG und im DPG-Beirat
Offen bleibt in der Antwort aber, ob Müntefering bei ihrer Beiratstätigkeit zwei Jahre zuvor um das Verhältnis der DPG zum Israel-Boykott wusste? Denn wenn ja, wie erklärt das einerseits ihr heutiges Engagement als DIG-Vizepräsidentin und wie passt es andererseits mit ihrer bereits zur damaligen Zeit dokumentierten Mitgliedschaft in der DIG zusammen (so im März 2017)? Wenn nein, hätte Müntefering nicht spätestens bei der antizionistischen Vergangenheit ihres seinerzeit ebenfalls berufenen Beiratskollegen Prof. Dr. Norman Paech hellhörig werden müssen?
Besagter Paech, ein ehemaliger Abgeordneter der Linkspartei im deutschen Bundestag (2005-2009), nahm im Jahr 2010 an der berüchtigten Gaza-Flottille teil, bei der Islamisten die Zukunft der Heimstatt der Juden dezidiert vernichtungsantisemitisch motiviert besangen: „Oh ihr Juden […] die Armee des Propheten Mohammed wird zurückkommen – so wie in Khaibar, […] Intifada bis zum Sieg!“ Die israelsolidarische Linkspartei-Gruppierung BAK Shalom warf Paech schon 2008 „eine ungehemmte Verbrüderung mit der terroristischen Hamas und antizionistische Ressentiments“ vor. Und Henryk M. Broder nannte Paech im Jahr 2009 sogar einen „lupenreinen Antisemiten“.
Bei Kundgebungen, zu denen die DPG aufruft, lodert der Hass auf den Staat der Juden lichterloh. Traurige Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang eine 5.000 Personen starke, vermeintliche „Pro-Palästina“-Demonstration in Bremen aus dem Jahr 2014 im Zuge des damaligen Gaza-Krieges, auf der ein antisemitischer Mob auf dem Bremer Marktplatz lautstark „Kindermörder Israel“ skandierte (hier, ab 1:11 zu hören). Mit an Bord war, neben der DPG, das für seinen Israel-Boykott bekannte Bremer Friedensforum, das erst unlängst nach Recherchen von Achgut.com und Jerusalem Post von der Homepage der Stadt Bremen gelöscht wurde. Hier steht überdies die Frage im Raum: Wusste Müntefering um die Israelhass-Demonstration der DPG und ihrer antizionistischen Erfüllungsgehilfen?
Gemeinsame Mahnwache der DPG mit Terrororganisationen
In der Wahl ihrer Kooperationspartner schreckt die DPG damals wie heute nicht vor ausdrücklichen Israelfeinden zurück. Denn laut einer Nachricht von „Rote Fahne News“, des Nachrichtenportals der antizionistischen Stalinisten-Partei MLPD, riefen 2022 anlässlich der antisemitischen Documenta in Kassel die DPG und das MLPD-nahe „Internationalistische Bündnis Regionalgruppe Kassel“ zu einer Mahnwache auf, um „Solidarität mit den Organisatorinnen, Organisatoren und Künstlerkollektiven zu zeigen, die schon seit Wochen denunziatorischen, völlig haltlosen Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt“ wären.
Brisant: Neben der MLPD gehören zu den Trägern des „Internationalistischen Bündnis“ lokale Gruppen und Sympathisanten der palästinensischen Terrororganisationen „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (kurz DFLP) und „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Letztere steht laut eines aktuellen Berichts der WELT „seit 1997 auf der Terrorliste des US State Departments und seit 2002 auch auf der Terrorliste der EU“.
Auch wenn in der Träger-Liste nur von „Sympathisanten der PFLP“ die Rede ist, sei „die PFLP als Organisation […] noch bis zum 02.09.2017 auf der Webseite des Internationalistischen Bündnisses aufgelistet“ gewesen, wie eine Recherche des israelsolidarischen Blogs „Ruhrbarone“ ergab. Im Fall der DFLP wird in der Liste sogar explizit deren „Örtliche Gruppe Kassel“ genannt. Ein Artikel des „Bündnis gegen Antisemitismus Kassel“ bestätigt dies. Gemäß diesem ist die „in Kassel agierende Tarnorganisation der MLPD Internationalistischen Bündnis […] mit der DFLP verbunden“.
Das Verhältnis der DPG zum Antizionismus ist demnach evident und hat sich bis heute nicht verändert. In der Ausgabe ihres „Palästina Journals“ vom November 2023 redet die DPG in einer offiziellen Stellungnahme zum Krieg der Hamas gegen Israel daher von einem „Rachefeldzug der israelischen Regierung gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens“ und obendrein davon, „dass Israel unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror eine zweite Nakba vorbereiten könnte“.
„Delegitimierung Israels als jüdischer Staat“, so Henryk M. Broder
Kenner der deutschen Antizionisten-Szene kommen in Bezug auf die DPG zu deutlichen Einschätzungen. So das „Jerusalem Center for Public Affairs“, ein israelisches Forschungsinstitut, welches in einem Buch aus dem Jahr 2018 über die Wurzeln von BDS und Kampagnen zur Delegitimierung Israels in Deutschland die DPG als linksextrem, islamistisch sowie der Muslimbruderschaft zugehörig beschreibt. Henryk M. Broder nannte im Oktober 2019 gegenüber der Bremer Lokalzeitung „Weser-Kurier“ das Programm der DPG „Hetze pur – nur eben keine Hetze gegen Juden, sondern gegen Israel. Das ist keine berechtigte Kritik an seiner Politik, sondern das ist schlicht die Delegitimierung Israels als jüdischer Staat.“
Dass die DPG auf ihrer Homepage unter „Beirat“ die Mitgliedschaft Münteferings unerwähnt lässt, ist indes nicht unüblich bei der DPG. Nachdem der FDP-Bundestagsabgeordnete Olaf in der Beek im Mai 2020 aus Beirat und DPG austrat, „weil der Beirat sich weigere, BDS abzulehnen“, wird in der Beek bis heute nicht als ehemaliges Mitglied geführt. Hat sich Müntefering etwa ähnlich positioniert? Und wenn ja, warum exponiert sie sich diesbezüglich dann nicht ebenso öffentlich?
Bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft finden sich zu Münteferings Engagement im DPG-Beirat ebenfalls keine weiterführenden Informationen. Wusste die DIG überhaupt um Münteferings Beiratstätigkeit? Deren Präsident, der ehemalige Grüne MdB Volker Beck, lehnt nämlich eine Zusammenarbeit mit der DPG bislang ab. So habe Beck, laut eines Rundbriefs der DPG vom Juni 2023, ein Gespräch mit dieser nur unter der Bedingung vorgeschlagen, „dass die DPG das Attentat in München im Jahr 1972 verurteilt“. Eine Forderung, die die DPG nach eigener Darstellung jedoch nicht erfüllen wollte.
Dieser Text ist eine aktualisierte Version eines Artikels, der zunächst am 14. Dezember 2023 auf Achgut.com erschien. Vor Wiederveröffentlichung wurde SPD-MdB Michelle Müntefering die Möglichkeit zur Stellungnahme geboten. Die zugehörige Presseanfrage samt Antwort von Münteferings Abgeordnetenbüro gibt Achgut.com im Folgenden wieder.
Presseanfrage vom 15. Dezember 2023
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Müntefering,
ich bin Publizist und recherchiere für einen Artikel, der bei Achgut.com erscheint.
Laut eines Rundbriefs der "Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft" (kurz DPG) vom Januar 2017 haben Sie seinerzeit eine Berufung in den Beirat der DPG angenommen: https://dpg-netz.de/wp-content/uploads/Rundbriefe/Rundbrief-Januar-2017.pdf
Meine Fragen dazu:
1. Wussten Sie, dass es sich bei der DPG um eine Israel-Boykott-Gruppe handelt, die die BDS-Kampagne unterstützt? Hier nachzulesen: http://bds-kampagne.de/aufruf/deutschlandweiter-bds-aufruf/
2. Wie lange dauerte Ihre Tätigkeit im Beirat der DPG?
3. Wie stehen Sie heute in Ihrer Funktion als Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft dazu?
Aus redaktionellen Gründen würde ich Sie bitten, mir freundlicherweise bis kommenden Montag, den 18.12.2023, um 12:00 Uhr mittags zu antworten, danach kann ich Ihre Antwort nicht mehr berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Dr. Marcus Ermler
Antwort vom 18. Dezember 2023
Sehr geehrte Damen und Herren,
Frau Müntefering wurde für die SPD-Fraktion 2017 in das Gremium entsandt und schied nach der Bundestagswahl 2017 und der anschließenden Berufung zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt Anfang 2018 wieder aus.
Zum Thema BDS ist ihre Haltung völlig klar - das hat sie auch mit der Abstimmung im Bundestag deutlich gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
[…]
Büroleiter / Referent für Kulturpolitik
Bundestagsbüro Michelle Müntefering, MdB
Dr. Dr. Marcus Ermler, geboren 1983, ist Mathematiker sowie Informatiker und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Logik, Graph Rewriting und Topologie. Darüber hinaus publiziert er über Antisemitismus und Antiamerikanismus jeder politischen Färbung, bisher u.a. für „Audiatur-Online“, die „Jüdische Rundschau“ und „Mena-Watch“.