Jesko Matthes / 24.01.2024 / 06:15 / Foto: Stefan-Xp / 108 / Seite ausdrucken

Ein deutscher Polterabend

Was sich gerade abspielt, sieht aus wie die Gegenwehr eines breiten Bündnisses gegen Rechts. Dabei ist es eine orchestrierte Fragmentierung der politischen Landschaft, die zum Scheitern verurteilt ist.

Die mögliche Fragmentierung der politischen Landschaft Deutschlands ist keine ganz neue Erscheinung. Ein kurzer Rückblick auf die alte Bundesrepublik zeigt, dass es gerade die Konservativen waren, die um diesen Weg bereits seit 1969 miteinander stritten. Der Streit spitzte sich im Dezember 1976 zu. Konkret drohte damals die CSU, ihre Parteiorganisation bundesweit auszudehnen. Die Gründe waren strategischer Natur und die Argumente für und wider ebenso.

Die CSU unter Franz Josef Strauß versprach sich eine Stärkung des rechten Flügels der Unionsparteien durch dieses zusätzliche Angebot, während die CDU unter Helmut Kohl eben dieses Potential nicht sah, sondern eine Zersplitterung der Unionsparteien und ihrer Schlagkraft auf eigene Kosten befürchtete. Strauß fürchtete eher die Entstehung einer anderen Partei rechts der CDU auf Bundesebene. Strauß war es, der immer wieder vor einer solchen Entwicklung warnte, da sie die Unionsparteien die Mehrheiten im Bund kosten könne. Wenn es also eine „Vierte Partei“ geben sollte, dann müsse dies die CSU selbst sein. Letztlich einigte man sich, keine Bundes-CSU zu gründen.

Der Warnschuss aber hatte gesessen und der CDU klargemacht, dass eine Sozialdemokratisierung der CDU an der Seite der CSU nicht zu haben sein würde. Im Gegenzug tolerierte und begrüßte die CSU sogar, dass die CDU auch Linksausleger integrierte, bis hin zu als „Herz-Jesu-Marxisten“ bespöttelten Exponenten wie Heiner Geißler, Norbert Blüm und Rita Süßmuth. So gelang es den Unionsparteien über Jahrzehnte, das gesamte politische Spektrum des deutschen Konservatismus abzubilden, ihr gemeinsames Profil als Volkspartei zu halten und sogar an den Rändern zu schärfen. Die Unionsparteien machten ein besonders breites Angebot, sowohl an die Wähler wie an die Mitbewerber, insbesondere die FDP; ein Konzept, das 1982 durchzünden sollte.

Rechte Strohfeuer und linke Unionspolitik

Und tatsächlich blieben gerade die Parteien rechts der Union Strohfeuer, allen voran die Republikaner unter Franz Schönhuber; und auch die anfänglich viel beachtete Schill-Partei in Hamburg blieb ein kurzlebiger regionaler Achtungserfolg rechts der Union. Derweil erlebte zunächst die Linke ihre Fragmentierung, seit den 1970er Jahren durch die Grünen, später, im Zuge der deutschen Einheit, durch die SED-Nachfolgepartei namens PDS und, zu Gerhard Schröders Zeiten, durch deren Vereinigung mit der WASG zur Linkspartei. Es schien also gut zu laufen für die Unionsparteien, so gut, dass es Schröder selbst nach seinem so adrenalinreichen Wahlkampf letztlich nicht gelang, eine CDU-Kanzlerin Merkel zu verhindern.

Mit Merkel allerdings begann die von Strauß vehement bekämpfte Sozialdemokratisierung der CDU, in einem solchen Ausmaß, dass der hochgejubelte und gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz von Merkel verzweifelt als einem „Ideenstaubsauger“ sprach. Und so war es auch: Ob Euro-„Rettung“, Energie-„Wende“ oder „offene Grenzen“, die CDU-Kanzlerin schien in eine sozialdemokratische oder gar grüne Falle nach der anderen zu tappen und gleichzeitig SPD und Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen. De facto las sie wohl einfach morgens im Kanzleramt zunächst den Pressespiegel und tat alsdann das, was dieser seit Jahrzehnten sehr weitgehend sozialdemokratisierten und vergrünenden Echokammer opportun war und nahm damit der CDU/CSU den Wind aus den Segeln.

So ergab sich ein sechzehn Jahre langes, reziprok einander stabilisierendes Verhältnis der regierenden zur veröffentlichten Meinung, völlig anders als zu Helmut Kohls Zeiten, der sich konstant dem Hohn und Spott einer breiten Front von Opposition über Presse bis Kabarett erwehren musste. Ihm fiel die deutsche Einheit in den Schoß. Und er? Er setzte sie aktiv durch, zum Entsetzen aller seiner Gegner. Überzeugungstäter verzeihen ihren Opfern nicht. Was aber, wenn die CDU/CSU von einer Frau ohne Eigenschaften geführt wird? Was fiel Frau Merkel in den Schoß, abgesehen vom Zuspruch der Echokammer? Eine kleine Fehde mit Jan Böhmermann und ein wirksames Gejammer über ihre mangelnde Empathie gegenüber einem Flüchtlingskind waren schon das Schlimmste, das ihr an Gegenwind widerfuhr.

Und während sie mit Wolfgang Schäuble und der CDU den Altkanzler Kohl kalt abserviert hatte, lädt nun ihr Nachfolger Friedrich Merz zur Feier ihres siebzigsten Geburtstages in jene Konrad-Adenauer-Stiftung ein, von der Merkel sich eben erst distanziert hat.

Das mutige Bündnis 

Es kann sein, dass das ein Nadelstich ist; eine Distanzierung vom desaströsen Kurs der ebenso Lamettabehangenen wie Gescheiterten ist es nicht. Und damit wird die CDU nun leben müssen, ebenso wie mit der „Vierten Partei“ rechts der Union, die eben nicht die CSU ist, sondern die AfD. Auch dieses offene rechte Scheunentor hat die Union Merkel zu verdanken, und dessen Verschluss per „Brandmauer“ ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was Strauß tat. Er setzte auf Prävention durch Konturierung und Schärfung erzkonservativer Postionen. Die neue Union aber setzt auf Abgrenzung nach rechts, ohne damit ihr konservatives Profil glaubhaft schärfen zu können. Und so setzen Gestalten wie Wanderwitz und Wüst nun auf ein Verbot der AfD, in der höchstwahrscheinlich irrigen Überzeugung, man könne dorthin verirrte Schäflein wieder ins Trockene holen: Dumm nur, wenn sie an der Seite auf eine Brandmauer prallen.

Derweil übt sich ein „breites gesellschafliches Bündnis“ aus Klimaklebern, Kirchen, Sozis, Grünen, vereinzelten Gewerkschaftlern, linksradikalen Antifanten bis hin zu Antisemiten, garniert mit staatlich alimentierten Nichtregierungsorganisationen, in der alten Echokammer-Taktik der Merkel-Jahre, und der Bundespräsident verleiht dieser weimarisierenden Mobilmachung der Straße das Prädikat „Mut“, als wäre es eine intellektuelle oder gar persönliche Leistung, schlicht das nachzugrölen, was die Regierung vorgibt. Markus Söder aber, wie eine müde Karikatur des alten, profilscharfen Konservatismus der CSU, lässt sich vor diesen Thespiskarren spannen.

Das Resultat zeichnet sich bereits ab, oder, wie ein ironischer Online-Kommentar zu den 300.000 Demonstrierenden der letzten Tage lautete: Wenn das die bislang schweigende Mehrheit ist, dann haben wir offensichtlich nur knapp 600.000 Wahlberechtigte. Ein AfD-Verbotsverfahren halte ich unter den gegenwärtigen Filterblasenbedingungen für durchaus möglich und sogar für legitim. Legitim im Rahmen dessen, was der Filterblase gerade legitimierbar und opportun erscheint, nämlich sich der lästigen Konkurrenz von rechts zu entledigen, und, wie Wanderwitz selbst zugibt, Zeit zu gewinnen.

Taktik, Strategie oder Zielsetzung?

Wenn schon an den anstehenden Landtagswahlen so nichts mehr zu ändern wäre, könnte ein AfD-Verbot diesen Wahlen nachträglich die Legitimität absprechen und darüber hinaus einen AfD-Erfolg auf Bundesebene verhindern. Wer dieser Echokammer das Streben nach Machterhalt vorwirft, dürfte nicht ganz falsch liegen. Es geht nicht um Ziele oder Strategien, es geht um Taktik.

Taktik ist keine Strategie und erst recht keine Zielsetzung. Das ist der zentrale Denkfehler des „Kampfes gegen Rechts“: Solange sich dessen Beteiligte in ihrer neuen Straßenherrlichkeit sonnen, während sie sich um Lösungsansätze der drängenden Probleme der Wirtschaft, der Finanzen, der Migration, der Energie, der Infrastruktur, der Industrie, der Produktion und des Mittelstands, auch der Außen- und Sicherheitspolitik, permanent drücken, wird diese Beteiligten bei ihrem ziel- und strategielosen Taktieren der Feldherr Pyrrhus grüßen lassen. Die AfD verbieten?

Die Wagenknecht-Partei BSW und die Werteunion stehen bereits dankbar lauernd in den Startlöchern. Die Überlegung der Etablierten, die Enttäuschten, die Ausgestoßenen und die Diffamierten würden bei einem AfD-Verbot schnurstracks zu ihnen zurückkehren, ist eine Illusion. Demographisch gesehen ist dabei auch eine Partei der deutschen Muslime nur noch eine Frage der Zeit; die vereinfachte Einbürgerung und doppelte Staatsangehörigkeitsregelung weisen bereits deutlich in diese Richtung. Ist das ein „breites gesellschaftliches Bündnis“?

Der endlose Kampf gegen Rechts 

Ich wünsche allen Beteiligten viel Vergnügen beim Genießen dieser Fragmentierung und Partikularisierung des politischen Lebens in Deutschland. Das ist das „breite gesellschaftliche Bündnis“ und sein dubioser Erfolg! Die angeblichen Massen demonstrieren, doch das wirkliche Leben geht weiter, sogar das der Demonstrierenden, und die Partikularinteressen spalten sich. Was eben noch ein Bündnis war, zerfällt. Diesem endgültigen, selbst programmierten Scheitern der ehemaligen Volksparteien folgt ein endloses Gerangel; alles gerät in Bewegung. Nur die sich häufenden Probleme des Landes bleiben liegen, alle ungelöst, und sie werden durch die Fragmentierung vermehrt.

Dieser Kampf gegen Rechts ist nicht zu Ende, er hat jetzt erst richtig begonnen. Und er wird auch die Werteunion, danach die CDU/CSU und wahrscheinlich sogar die Wagenknecht-Partei treffen, die in die Lücken links der SPD und rechts der CDU/CSU gleichzeitig stößt. Wer für diesen Kampf auf die Straße ruft oder geht oder auch nur sich auf dieses Illusionstheater einlässt, ist möglicherweise Demokrat; nur er hängt in paradoxer Weise – schlimmer als der schlimmste Reaktionär – an einem Status quo, der nichts löst, sondern alles verloren gibt, während ihn die Wirklichkeit überholt, heute noch gemütlich, schon morgen rasant.

Falls jemand vorhat, vor allem die SPD und die CDU/CSU endgültig zugrunde zu richten, das Land mit den Mitteln einer außerparlamentarischen Schmierenkomödie gegeneinander aufzuhetzen und schließlich in den Parlamenten unregierbar zu machen, anstatt seine Probleme zu lösen: Wohlan! Ihr seid auf einem vielversprechenden Weg. Das „Teile-und-Herrsche“ der jetzigen Echokammer ist ein fadenscheiniges Spiel auf Zeit; zum Scheitern verurteilt, zum Scheitern an seinen Teilen.

 

Dr. med. Jesko Matthes, Alumnus der Studienstiftung des Deutschen Volkes, immunologische Promotion über Tumornekrosefaktor- und Lymphotoxin-Messung, auch in virustransfizierten Zelllinien maligner Lymphome. Notarzt mit LNA-Qualifikation. Er ist Arzt und lebt in Deutsch-Evern.

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Boris Kotchoubey / 24.01.2024

Das ist alles schön und gut, aber mMn zu kompliziert. So wie es in der DDR nur eine einzige Regierungspartei SED gab, gibt es auch in Deutschland nur eine Regierungspartei namens ARD/ZDF. All diese CDU, SPD und sonstige Grünen sind nur die Ableger und Handlanger dieser herrschender Struktur, die sich als “Journalismus” maskiert. Merkel war eine der wenigen, die gewagt hat - nein, natürlich nicht gegen diese allmächtige Struktur aufzutreten, um Gottes Willen! - aber in ihren Reden zumindest anzudeuten, dass sie als sogenannte Politikerin und sogar Kanzlerindarstellerin nichts anderes tun kann, als die Anforderungen der sogenannten Journalisten durchzusetzen. Betrachtet man die deutsche politische Geschichte der letzten 30 Jahren aus dem Modell, das die praktisch diktatorische Macht der Medien, deren Marionetten die Parteipolitiker sind, voraussetzt, so wird vieles klar und transparent.

W. Renner / 24.01.2024

Gegen Hass und Hetze, ganz Köln hasst die AFD. Finde den Fehler.

Heinrich Bleichrodt / 24.01.2024

Gratulation. Jeder Satz ein Volltreffer. Nur: Es wird noch schlimmer als angedeutet.

Chris Kuhn / 24.01.2024

Der Slogan “AfDler töten” kann nicht angegriffen werden, weil sich die Bannerträger immer auf den Standpunkt stellen können, die AfDler seien das Subjekt des Satzes. Und die werden tatsächlich schon mal alle eine Wespe gekillt haben. Der Staats- aka Regierungsschutz dürfte indessen eher nicht wegschauen, wenn Plakate mit Slogans wie “GRÜNE zerstören” vorgezeigt würden. Am besten macht man diese drehbar und schreibt “die Natur” oder “unseren Mittelstand” auf die Rückseite. Christian Loose (AfD NRW) hat übrigens in einer sechsminütigen Düsseldorfer Landtagsrede Anlaß, Organisation und Ablauf der bestellten Demonstrationen grandios zertrümmert. Findet man bei YT.

KKUPFER / 24.01.2024

Herr Matthes, das haben Sie wirklich sehr gut zusammengefasst und schlüssig kompakt dargelegt. Mein Kompliment für diesen sehr treffenden und prägnanten Artikel.

Ben Goldstein / 24.01.2024

Ich seh eigentlich nur fünf relevante Parteien im Bund: Die Wagenknechtpartei, die AfD, die Werteunion, die Freien Wähler und die Altpartei. So groß ist die Auswahl nun auch wieder nicht.

Gerd Koslowski / 24.01.2024

Sehr schön seziert Herr Dr. Matthes. Mich würde interessieren, wie viele “gegen rechts Krakeeler” und Innen ihren Lebensunterhalt mit Wertschöpfung in Industrie, Landwirtschaft, Handwerk…. bestreiten.

Lutz Liebezeit / 24.01.2024

Da haben CDU und CSU mal die Macht, den Sozialdemokraten eine Denkzettel zu verpassen, und dann kuschen die. Söder und Merz rutschen auf ihrer eigenen Schleimspur aus. Die Deutschen sind wirklich total blamabel.

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