Alain Pichard, Gastautor / 25.04.2024 / 16:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Rassismusalarm an Schweizer Schulen

Schweizer Schulen scheinen statistisch ein Rassismus-Problem zu haben. Doch von wem geht er aus?

„Massiv mehr Übergriffe“, titelte der Sonntagsblick, darunter in fetter gelber Schrift: Diskriminierung an den Schulen nimmt zu! Im Text folgten Sätze wie: „Die Schweiz ist in dieser Hinsicht europaweit ein negatives Vorbild.“ Laut einer Statistik des Online Monitoring der Fachstelle für Rassismusbekämpfung haben rund 1,2 Mio. Menschen angegeben, sie seien schon einmal rassistisch behandelt worden. Das sei dann jeder Sechste oder 12 Prozent der Einwohner. Die große Mehrheit dieser Vorfälle beruhte auf „verbalem Rassismus“. Die meisten dieser Fälle würden nicht angezeigt. 27 Prozent aller Fälle fänden in der Schule oder im Studium statt, so die Zusammenfassung der Broschüre des EDI (1.2.24).

Laut dem Online Portal Babanews, das sich um die migrantische Integration bemüht, könnte auch ich mich mehrfach rassistisch geäußert haben. In ihren „Hate speech Workshops“ an den Stadtberner Schulen erklären die beiden Redakteurinnen, mit einem Bachelor in Kommunikationswissenschaft nun voll in der Rolle der Expertinnen, dass das Lob für ein albanisches Kind: „Du sprichst aber gut Deutsch!“ als versteckter Hate Speech gewertet wird und so eine rassistische Grundanlage verrät. Wenn ich mich durch die Studien, Berichterstattungen und Podcasts der Antirassismus-Stellen durchkämpfe, stelle ich fest, dass es hier vor allem um Rassismus der weißen, einheimischen Bevölkerung gegenüber unseren ausländischen, migrantischen Mitbewohnern geht. In den Oberstufenzentren in Biel, in denen ich tätig war, ist die Zusammensetzung der Schülerschaft etwas anders. 80 Prozent der Schüler haben einen migrantischen Hintergrund. Dort erfuhr ich, dass rassistische Ausfälligkeiten, wenn sie denn vorkommen, nicht immer nach einem Schwarz-Weiß-Drehbuch à la Tatort ablaufen. Die Wirklichkeit ist um einiges vielschichtiger.

Lehrkräfte und Schulleitungen stellen auch Spannungen unter den verschiedenen Ethnien fest. Es wäre somit interessant zu erfahren, wie unsere Rassismus-Experten die folgenden Vorfälle bewerten, mit denen ich und meine Kolleginnen und Kollegen konfrontiert wurden: Da wäre der 17-jährige T., türkischer Abstammung, der mit einem 30 Zentimeter langen Küchenmesser in die Schule spazierte, die Treppe hochlief und zu einem Klassenzimmer schritt, in welcher die 13-jährige Mazedonierin A. auf ihren Lehrer wartete. Diese hatte am Vortag die Ehre seines jüngeren Bruders „befleckt“ und ihn rassistisch beleidigt. Dank dem entschlossenen Eingriff zweier Lehrer wurde T. gestoppt und wieder hinausspediert. Es folgten Strafanzeige, Verhöre, befristete Schulausschlüsse.

Deftig ging es auch auf dem Pausenplatz zu, wo sich eine schwarzafrikanische Gruppe von Mädchen und arabische Girls wüst beschimpften und danach aufeinander losgingen, angefeuert von Jungs beider Ethnien. Dabei fielen rassistische Injurien, die wohl auf einer Rassismus-Beratungsstelle sämtliche Alarmglocken hätten klingen lassen. Ein Polizeieinsatz und das wiederum sofortige Einschreiten der Lehrerschaft verhinderten Schlimmeres. Unsere kurdischen Schüler werden ab und zu von ihren türkischen Klassenkameraden mit dem Spruch: „Hallo, Du Landloser“ begrüßt. Es ist bei uns ein offenes Geheimnis, dass sich die Schwarzafrikaner im Schulalltag einiges anhören müssen. Aber nicht, wie die Rassismus-Experten gemeinhin annehmen, von ihren Schweizer Kameradinnen und Kameraden (von denen gibt es an dieser Schule nämlich immer weniger), sondern eher von arabisch-stämmigen Migrantinnen und Migranten.

Was ist das für ein Affentheater

Das erklärt vielleicht auch den dritten Vorfall, der dem engagierten und von allen geschätzten Klassenlehrer S. im vergangenen Februar widerfahren ist. Es begann damit, dass er sich über den großen Lärm ärgerte, der während seines Unterrichts draußen auf dem Gang herrschte. Als es ihm zu bunt wurde, trat er vor die Klassenzimmertüre und rief in den Gang: „Was ist das für ein Affentheater!“ Sein Pech war, dass sich unter den lärmenden Schülern Schwarzafrikaner befanden, die sofort eine rassistische Beleidigung witterten und umgehend auf den verdutzten Lehrer losgingen. Es blieb nicht nur bei verbalen Ausfälligkeiten, es kam auch noch zu Rempeleien, welche die entsetzte brasilianische Schülerin J. mit den Worten kommentierte: „Wie kann man nur so auf einen Lehrer losgehen.“ Auch dieser Vorfall ging glimpflich aus – dank des wiederum entschlossenen Eingreifens von Lehrerschaft und Schulleitung.

Das sind einige „hübsche“ Einzelfälle. Grundsätzlich aber gilt, was kürzlich der Integrationsexperte Thomas Kessler (Basel-Stadt) im „Bund“ klarstellte: „Es gibt weniger Rassismus und weniger Gewalt als früher.“ Das mag angesichts der heute aufgeheizten Stimmung erstaunen, aber ich teile seine Ansicht. Die Schulen in Biel beweisen inzwischen eine große Professionalität im Umgang mit Disziplinlosigkeiten, dazu gehören auch rassistische Beschimpfungen. Man schaut hin, führt minutiöse Gespräche und verhängt, wenn es angezeigt ist, Sanktionen. Die Eltern werden in die Pflicht genommen. Unsere Lehrkräfte in Biel schreiten in der Regel resolut ein, die Schulleitungen handeln.

Das heißt: Vorladung der Eltern, schriftliche Verwarnung, Sanktionen und bei Wiederholungsfall ein befristeter Schulausschluss. Sie entscheiden über den Einbezug der außerschulischen Fachstellen: Schulsozialarbeit, Polizei, Erziehungsberatung, Jugendschutz. Wenn die vorgesetzten Behörden mitspielen, braucht es nicht mehr. Auch wenn es immer wieder zu Vorkommnissen kommt, die kurzfristig einen ziemlichen Stress auslösen können, ist es doch erstaunlich, wie unaufgeregt Schulleitungen und Lehrkräfte oftmals mit ihnen umgehen. Das kann man für die antirassistische Helfer-Gemeinde aus nachvollziehbaren Gründen weniger behaupten. Denn sie müssen sich mit Alarmismus gegenüber ihren privaten und staatlichen Geldgebern rechtfertigen, dass sie wirklich notwendig sind.

 

Alain Pichard ist Grünliberaler Großrat im Kanton Bern und Mitbegründer des Bildungsblogs condorcet.ch. Trotz seiner Pensionierung ist er immer noch Lehrer an einer Brennpunktschule in Biel.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Gerhard Schmidt / 25.04.2024

Als “Integrationslehrer” an einer deutschen Schule, der ich einst war, lernt man die Tabelle schnell: Araber hassen Türken, missachten Deutsche und verachten Schwarze. Türken hassen Araber, verachten Deutsche und missachten Schwarze. Die Schwarzen toben sich dann dort aus, wo man sie (ran)lässt… Und die verbliebenen deutschen Kinder fürchten sich vor allen vorgenannten.

Boris Kotchoubey / 25.04.2024

“Du sprichts aber gut Deutsch” zu einem Albaner ist Rassismus, “Tod den Juden!” ist aber keiner.

gerhard giesemann / 25.04.2024

Solche Probleme. Travnitschek, wos brauch i des?

Marc Greiner / 25.04.2024

Ich kenne ein Wort, welches viele Probleme lösen würde: Remigration.

Zdenek Wagner / 25.04.2024

Grenzen zu und die Subjekte rausschmeissen! Ich weiss ich weiss - ich träume ...

Peter Faethe / 25.04.2024

Die Verwirklichung des Rezeptes “Wer sich wie eine Sau benimmt, wird auch wie eine Sau behandelt.” dient nicht nur der eigenen Glaubwürdigkeit, sondern beweist ebenfalls, dass man alle potentiellen Säue ernstnimmt.

Michael Lorenz / 25.04.2024

Hatte den Text zunächst nur kurz überflogen. An dieser Stelle wusste ich, dass ich ihn nicht gründlich zu lesen brauche: “... ist Grünliberaler”. Also so etwas wie schwarze Milch ...

Marcel Seiler / 25.04.2024

Zwei Dinge möchte ich betonen: (a) Es braucht strikteste Regeln und strikteste Durchsetzung – gegenüber Schülern und Eltern. Der ganze Apparat (Lehrer, Schulleitung, Schulbehörden) müssen dahinter stehen. (Ich habe nicht den Eindruck, dass das in Deutschland passiert.) (b) “Rassismus”, also Abneigung und Herabwürdigung Anderer ist keine nur deutsche oder schweizerische Angewohnheit. Im Gegenteil, bei uns ist das milde gegenüber dem, was wir in den Einwanderern finden. Gutmenschen nehmen das nicht wahr. Ich erinnere mich an einen zwischen-ethnischen Konflikt in einem Flüchtlingsheim, bei dem die deutschen “Helfer” aus allen Wolken fielen, dass es dort heftige gegenseitige ethnisch-bedingte Abneigung gab. Diesen “Helfern” hatte man erzählt, nur Deutschen sei der Rassismus eingeprägt und wir müssten uns unentwegt dafür schämen und entschuldigen. Dass wir in vielen Fällen Menschen importieren mit erheblich stärkeren “gruppenbezogenen Abneigungen” (oder wie das auch immer heißt) als die unseren, hat sich vielfach noch nicht herumgesprochen. Und Gutmenschen, obwohl sie es wissen, weigern sich, es zu glauben.

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